Der HSV unterliegt dem 1. FC Magdeburg mit 1:2 (1:0)
(K)eine Trainerdiskussion
Wer meine Blogeinträge über die Jahre gelesen hat, der hat hoffentlich bemerkt, dass ich gewöhnlich nicht dazu neige, Einzelpersonen die Schuld am sportlichen Misserfolg in die Schuhe zu schieben. Dreißig Jahre im Sport haben mich gelehrt, dass es fast immer eine ganze Reihe von Gründen sind, an deren Kettenende Resultate stehen. Auch deswegen verwerfe ich regelmäßig monokausale Erklärungsansätze, denn in der realen Praxis sind es in aller Regel multiple Faktoren, die ein Leistungsbild vielfältig bedingen und zur Entstehung von Ergebnissen führen. Statistische Werte, eine seit einigen Jahren zunehmend im Fußball genutzte Modeerscheinung, mögen zur Legitimierung von Meinung dienen, da sie scheinbar die subjektive Wahrnehmung objektivieren, sind aber ohne Kontext und Ergänzung durch fachkundige qualitative Analyse zum wirklichen Verständnis nahezu wertlos. Ihr Benefit besteht meist nur darin, dass Erklärungssuchende vermeintlich schlagende Gründe benennen und damit Relevanz von subjektiver Meinung meinen behaupten zu können.
Im Folgenden werde ich mich dennoch klar festlegen, wer für die gestrige Niederlage des HSV gegen den 1. FC Magdeburg hauptsächlich verantwortlich ist. Und das sind nicht angeblich arrogante, selbstgefällige Spieler, sondern dies sind strukturelle Kaderprobleme und der für den gestrigen Gegner vollkommen gescheiterte taktische Ansatz des Trainers. Doch der Reihe nach.
Hannes Wolf vertraute der folgenden Startformation: Pollersbeck – Sakai (76. Narey), Bates, Papadopoulos, van Drongelen, Douglas Santos – Jung, Holtby (83. Köhlert), Mangala – Lasogga, Jatta (67. Özcan)

Wie man hier sieht, begann der HSV in jener 5-3-2, bzw. 3-5-2 Grundordnung, welche jüngst im Spiel gegen Paderborn zum Erfolg und damit zum Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals geführt hatte. Papadopoulos stand erneut in der Startelf und erweiterte die Innenverteidigung zu einer Dreierkette. Beide Außenverteidiger rückten bei Ballbesitz ins Mttelfeld vor, welches ansonsten durch Holtby, Mangala und Gideon Jung unterbesetzt geblieben wäre. Bei Ballverlust und erfolgslosem Gegenpressing ließen sich Douglas Santos und Sakai zurückfallen. So konnte die Dreierkette im Bedarfsfall grundsätzlich zügig zur Fünferkette erweitert werden.
Sofern Doulgas Santos mit Ball offensiv nach vorne drängte, wich Jatta nach links außen aus. So wurde Platz für den vorrückenden Brasilianer in der Mitte geschaffen, und gleichzeitig stand Jatta als Anspielstation auf dem Flügel zur Verfügung. Wenn man sich das Personal anschaut, so meine ich, dass sich schon vorab in der theoretischen Konzeption die Gefahr erkennen ließ, dass die rechte Außenbahn an Wirkung verlieren würe. Denn weder hat Sakai die Qualitäten eines Santos, noch waren der tendenziell nach rechts orientierte Sechser Gideon Jung oder Holtby vorab so stark einzuschätzen, dass man von ihnen eine gleichgewichtige Ausrichtung des HSV-Spiels im Zusammenspiel mit Sakai erwarten konnte. Dass ein Lasogga auf dem Flügel verschenkt ist, dies darf man wohl als längst hinlänglich nachgewiesen und bekannt voraussetzen und sei hier nur der Vollständigkeithalber erwähnt. Die erste daraus zu erwartende Problemzone soll das rechte Oval in der Grafik veranschaulichen.
Sofern Mangala bei Ballbesitz nach vorne stieß, rückte Jung zur Absicherung ins Zentrum. Da es sich längst auch bis nach Magdeburg herumgesprochen hat, dass es keine gute Idee ist, den HSV spielen zu lassen, es im Gegenteil sogar anzuraten ist, ihn möglichst frühzeitig zu beschäftigen, ließ Oenning seine Elf aus einem 4-4-2 entschlossen nach vorne pressen. Dadurch wurde Hamburgs heimlicher Spielmacher Douglas Santos meist defensiv gebunden. Zudem wurde im Spielverlauf eine zweite Problemzone aus Sicht des HSV erkennbar: Jung konnte als defensiverer der beiden Sechser vom 1. FCM oft mühelos personell umstellt werden, was zu Ball – und Tempoverlusten auf Seiten des HSV führte. Außerdem verschwanden die gedachten Anspielstationen im Mittelfeld aus Sicht der Hamburger Abwehr häufig im Deckungsschatten des vordrängenden Offensivpersonals der Gäste. In der Summe wirkten die Magdeburger, als seien sie bereits im Mittelfed permanent in der personellen Überzahl. Dies auch deswegen, weil klar erkennbar war, wie sehr es Jung in seiner derzeitigen Verfassung an Handlungsschnelligkeit und auch Selbstbewusstsein fehlt. Ich habe über 90 Minuten kaum einen Pass von ihm gesehen, den man nicht als Sicherheits(rück)pass einstufen muss. Strategische Pässe mit offensiver Wirkung? Fehlanzeige. In der 22. Minute hätte er bereits um ein Haar den Führungstrefer für die Gäste verschuldet, weil es ihm an Handlungsschnelligkeit fehlte, was zum Ballverlust im zentralen Mittelfeld führte. Der daraus resultierende schnelle Gegenstoß der Gäste führte zwar zu einem Torerfolg. Dieser wurde aber wegen einer angeblichen Abseitsstellung nicht anerkannt. Die erste einer Reihe von zweifelhaften Entscheidungen von Schiedsrichter Dankert und seinem Gespann.
Wenn man von einem vereinzelten Beinschussversuch von Holtby gegen Magdeburgs Torwart in der 13. Minute absieht, dann dominierten die Magdeburger vom Anpfiff an im Stile einer Heimmannschaft. Der HSV bekam insbesondere im Mittelfeld wenig Zugriff auf Ball und Gegner. So brauchte es einen Standard, einen von Douglas Santos getretenen Freistoß vom rechten Flügel, damit der HSV gefährlich wurde. Jatta reagierte am schnellsten auf die zu kurze Kopfballabwehr der Gäste und vollstreckte aus ca. 10 Metern ins lange Eck zur 1:0-Führung (31.) für den HSV. Kurz darauf holte sich Lewis Holtby für ein taktisches Foul im Mittelfeld den 5. gelben Karton (35.) und fällt daher gesperrt gegen den 1. FC Köln aus. Eine Minute später wären die Gäste fast durch einen Kopfball von Bültner zum Ausgleich gekommen, aber Sakai rettete für den bereits geschlagenen Pollersbeck. So ging es mit einer knappen und nicht unglücklichen Führung für die Hamburger in die Pause.
Sinnhaftigkeit der Startformation
Wer gedacht hatte, Hannes Wolf würde auf den Spielverlauf durch personelle Veränderungen in der Pause reagieren, sah sich nach Wiederbeginn rasch enttäuscht. Bevor man die von Wolf gewählte Startformation pauschal aber als „zu defensiv“ abqualifiziert, sind aus Fairnessgründen einige Argumente für eben diese Formation und Taktik zu erwähnen. Zum einen hat der HSV in dieser Grundformation erfolgreich das vorangegangene Pokalspiel absolviert. Zweitens scheint man der Auffassung zu sein, dass die Integration von Papadopoulos aufgrund seiner Leaderqualitäten einen Mehrwert für die Mannschaft bringt. Wenn man also nicht mit Bates oder van Drongelen einen der im bisherigen Saisonverlauf überwiegend gut performenden zwei Innenverteidiger opfern will, dann drängt sich der Gedanke mit der Dreierkette im Prinzip auf. Auch erscheint es keineswegs abwegig, die Gelegenheit nutzen zu wollen, um die Mannschaft in Erwartung des kommenden offensivstarken Gegners, 1. FC Köln, weiter mit diesem System vertraut zu machen. Dennoch ist hier kritisch festzustellen: Gideon Jung war eindeutig ein Unsicherheitsfaktor. Er ist erkennbar noch weit von seiner Bestform entfernt. Der rechte Flügel war mit Sakai allein (ohne Narey vor ihm) offensiv praktisch nicht existent. Der Spielverlauf zeigte erneut, wie wirkungslos zudem Lasogga ist, sofern er nicht maßgerecht ins Spiel eingebunden und bedient wird. Erneut konnte er kaum Bälle festmachen, erneut zeigte er technische Unzulänglichkeiten bei der Ballablage in Serie. Daraus resultierte der optische Eindruck, als spielten die Gäste fast mit zwei Mann mehr. Das Mittelfeldspiel des HSV, einmal mehr das Grauen. Ich hatte zur Pause auf Twitter die sofortige Umstellung auf ein 4-1-4-1 angedacht und dabei vor allem auf den Einsatz von Narey gehofft. Sinnvoller wäre mir jedoch eine Umstellung auf ein 4-2-3-1 erschienen, um zum einen das eigene Mittelfeld personell aufzustocken und die Chance hier auf den Zugriff zu erhöhen. Durch die offensive Aufwertung der rechten Außenbahn wäre der Gegner auch stärker in der eigenen Abwehr gebunden gewesen und das bis dahin meist einseitig akzentuierte Angriffsspiel wäre dadurch wahrscheinlich variabler geworden. Wolf aber beließ es bei der Grundordnung. Die wesentlichen Kernelemente seiner Idee, Dreierkette mit Papadopoulos und Schwachpunkt Jung, blieben unangetastet. Beinahe wäre dem HSV dennoch das zweite Tor gelungen, denn nach einem klaren Handspiel von Müller im Strafraum erkannte Dankert nicht auf den meines Erachtens klar fälligen Strafstoß.
Unter diesen Umständen kam, was fast schon kommen musste: nach erneutem Ballverlust im Mittelfeld konnte Bates im Laufduell die Innenbahn gegen Bültner nicht schließen, sodass diesem trotz dreier nomineller Innenverteidiger fast mühelos der Durchbruch durch die Defensive und dann auch der Ausgleichstreffer gelang (61.).
Wolf reagiert nun personell und nahm zu meinem größten Erstaunen ausgerechnet den schnellsten Offensivspieler, Jatta, vom Feld und brachte Özcan. Dieser besetzte den linken Flügel. Da er aber nun vermehrt von dort nach innen zog, war es Douglas Santos, der für die Breite auf dem Flügel sorgte. Deutlich besser wurde das Spiel des HSV dadurch meiner Meinung nach nicht. Weiterhin war zu sehen, dass zwischen Offensivpersonal und Abwehr oft Anbindung und Kompaktheit fehlten.
Mit dem nächsten Wechsel kam dann doch endlich der schnelle Narey, jedoch ging zugleich mit Sakai der Rechtsverteidiger vom Feld (76.). Die oben aufgezählten Grunddefizite, mangelnde Balance, mangelndes Tempo, mangelnde Anbindung, wurden dadurch wieder nicht angegangen, vielmehr wurde nun sogar die Abwehr geschwächt. Ein weiterer Fehler, wie sich noch zeigen sollte.
In der 83. Minute kam Köhlert zu seinem zweiten Einsatz. Für ihn musste Holtby weichen, der bis dahin gewohnt fleissig aber eben leider auch gewohnt ineffektiv gespielt hatte. Köhlert belebte die linke Außenbahn und erlaubte so Özcan nun zentraler hinter Lasogga zu spielen. Auch wenn der HSV in der Schlussphase auf den Siegtreffer drängte, so richtig klare Chancen ergaben sich auch dadurch nicht. Vielmehr lud man den Gegner wie bereits schon im Spiel gegen Darmstadt 98 zum kontern ein. Und so verwundert es nicht, dass Magdeburg in der Nachspielzeit ein Freistoß zugeprochen wurde, der dann über Umwege zu Türpitz kam, welchem fast mit dem Schlusspfiff der keineswegs unverdiente Siegtreffer für die Gäste gelang (90+4.).
Fazit: Hannes Wolf ist ein junger Trainer. Eine Trainerdiskussion ist meines Erachtens vollkommen fehl am Platz. Er hat nachweisbar die Mannschaft taktisch weiterentwickelt. Nach dem 4-1-4-1 zu Saisonbeginn, einem zwischenzeitlichen 4-2-3-1, nun also zum zweiten Male die Dreier- bzw. Fünferkette. Alle Systeme wurden zudem gegnerangepasst von ihm variiert. Dennoch muss man ihm wie schon gegen den SSV Jahn Regensburg, als er den deutlichst gelb-rot gefährdeten Mangala nicht rechtzeitig vom Platz nahm und so seine Mannschaft vor einem Spiel in Unterzahl bewahrte, für diese Partie eklatante Versäumnisse vorhalten. Dass Lasogga Defizite besitzt aber dennoch benötigt wird, führt bei der derzeitigen Personallage (ohne Hwang und Hunt und ohne den formschwachen Arp) zudem in jedem Spiel von vornherein zu gewissen Einschränkungen. Zwar steht die Mannschaft am Ende auf dem Platz, aber ein Trainer steht eben auch deswegen am Spielfeldrand, weil man ihm zubilligt, von dort den Überblick zu behalten. Fehleinschätzungen und Irrtümer sind nur menschlich. Auch Trainern können diese unterlaufen. Es ist aber auch klare, unbestreitbare Aufgabe eines Trainers, auf konkrete Spielverläufe zu reagieren, notfalls auch einen vorab ausgetüftelten Plan zu korrigieren, sofern dieser nicht die erwünschte Wirkung entfaltet. Dies hat Wolf hier gleich mehrfach sträflich versäumt. Der HSV verliert am Ende verdient und mit Ansage. Auch weil das in-Game-Coaching von Wolf zum wiederholten Male zu wünschen übrig ließ. Aber so sehr mich diese vermeidbare Niederlage auch ärgert, für Katastrophenszenarien besteht kein Anlass. Noch hat man in Sachen Aufstieg weiter alles in eigener Hand. Allerdings muss die Fehlerquote bei Mannschaft und Trainer sinken, will man ein böses Erwachen zum Saisonende vermeiden.
Am Ende ist und bleibt Fußball Ergebnissport. Die unlängst von Bernd Hoffmann in Richtung Hannes Wolf ausgesprochene Jobgarantie ist nichts mehr als eine erfreuliche Absichtserklärung im Hinblick darauf, dass man auch in zu erwartenden Krisen Geduld haben will. Um eine Garantie im eigentlichen Sinne handelt es sich natürlich nicht. Und das ist auch gut so. Viele Fehler dieser Art sollte sich Wolf zukünftig besser nicht leisten.
Schiedsrichter: Dankert (Rostock): Mehrfach mit zweifelhafter Regelauslegung. Einzig der nicht gegebene Elfmeter nach vermeintlichem Foul an Lasogga erscheint ohne Rautenbrille betrachtet unter den strittigen Entscheidungen richtig. Schwach.